Geschichte auf der Spur (3/4)

Bei der Recherche zu diesem Beitrag bin ich in einen „Hasenbau“ unvorstellbaren Ausmaßes geraten. Dieser Beitrag ist zu klein und die Platform „Banzai! Shanghai! Yokohama!“ zu ‚unseriös‘ um eine adäquate Wiedergabe der Ereignisse zu bieten. Aber Nic und ich waren auf einem ‚Geschwister Scholl‘ Gymnasium und haben jährlich die Schrecken des Zweiten Weltkriegs auf unserer Seite der Kugel durchgekaut – trotz meines Geschichts-Leistungskurses wurde das ‚Pazifische Theater‘ viel zu kurz umrissen, schlicht weil das Ausmaß viel zu groß war. Deutschland hatte da ja genug eigene ‚Baustellen‘.

So war es spannend, ernüchternd, erschreckend und traurig zugleich, mal eine ganz andere Seite des Zweiten Weltkriegs zu sehen. Ich versuche, ein paar Hintergründe zu beleuchten um das Ausmaß zu skizzieren, aber auch meine Gefühle beim Besuch der Insel zu beschreiben.

1944, im Zuge der ‚Operation: Forager‘ auf den Marianen Inseln und Palau, wurde der japanische Defensivstützpunkt Peleliu, eine der südlichsten Inseln Palaus, von den Amerikanern angegriffen. Hintergrund war die relative geographische Nähe der wichtigen Philippinen (welche die Amerikaner als strategischen Stützpunkt für ihren Krieg gegen Japan zurückerobern wollten), auch wenn die Historiker auf allen Seite heute größtenteils übereinkommen, dass Peleliu keinen strategischen Mehrwert brachte. Erst Recht keinen, der diese Operation rechtfertigt. Die Rate der ‚Opfer‘ (nicht nur der Getöteten, auch die der Verwundeten) überschreitet die aller anderen amphibischen Operation im Pazifikkrieg.

Major General William Rupertus, der Commander der First Marine Division, war sich sicher die Insel innerhalb von vier Tagen einnehmen zu können. Dabei hat er allerdings die Japaner (die ihre Strategie zur Inselverteidigung verändert hatten) fahrlässig unterschätzt. Das National Museum of the Marine Corps bezeichnet die Schlacht um Peleliu als den „bittersten Kampf den die Marines im Zweiten Weltkrieg ausgetragen haben“.

Die Japaner hatten „ihre“ Insel defensiv herausragend befestigt und haben ihren Heimvorteil bis zum Schluss als immer wiederkehrenden Trumpf ausgespielt. Peleliu ist übersät mit Höhlen und Gräben, die wieder so zugebaut wurden, dass nur die schweren Artilleriegeschütze Luft zum Schiessen hatten.

Insgesamt standen sich in Peleliu 47561 amerikanische und 10900 japanische Soldaten gegenüber. Am Morgen des 15. September 1944 sind verschiedene Gruppen der Amerikaner an fünf Stränden rund um die Landebahnen von Peleliu und nördlich der Umurbrogol Berge (die eine wichtige Rolle spielen sollten – die Japaner hatten nicht nur Heimvorteil, sondern auch noch das höhere Gelände zu ihren Gunsten) eingefallen. In nur einer Stunde wurden 60 amphibische Gefährte der Marine zerstört, LVTs (Landing Vehicle Tracked) und DUKWs (sechsrädrige Allradfahrzeuge mit zwei angetriebenen Hinterachsen). Spätestens da sollte klar gewesen sein, dass vier Tage vielleicht etwas optimistisch waren. Die Japaner feuerten heftige Artillerie von einem aus Korallen angelegten Hügelrücken („The Point“), der mit Hindernissen und Minen gespickt war, sodass die ankommenden Fahrzeuge im Convoi passieren mussten und einfache Ziele darboten.

Die Schlacht um Peleliu dauerte letztlich über zwei Monate. Als die amerikanischen Befehlshaber die Insel für eingenommen befanden, ging die Schlacht in den Umurbrogol Bergen, der ‚bloody nose ridge‘, erst richtig los und die Amerikaner wurden wieder von Massen an japanischen Soldaten (die sich in Höhlen verschanzt hatten) überrascht.

Unter dem Strich fielen bei Operation: Stalemate II 10695 Seelen auf japanischer und 2336 auf amerikanischer Seite (wobei diese weitere 8450 Ausfälle wegen Verwundung zu verkraften hatten). Das alles auf einer 13 (dreizehn!) Quadratkilometer großen Insel.

Am 24. November 1944, also 70 Tage nach der ersten Landung, sprach Colonel Kunio Nakagawa (der Oberbefehlshaber der japanischen Streitkraft auf Peleliu):

Our sword is broken and we have run out of spears.

Unser Schwert ist zerbrochen und wir haben alle Speere verbraucht.

Nakagawa beging daraufhin Seppuku (im deutschen Sprachgebrauch als Harakiri, oder: ritueller Selbstmord, bekannt). Major Nemoto führte daraufhin mit 56 Mann einen letzten Banzai-Angriff (mit dem Ziel des ‚ehrenvollen Todes‘ auf dem Schlachtfeld) durch und am 25.11.1944 wurde der Kampf für beendet erklärt.

Eine kleine Zahl, ca. 80, widerspenstiger Krieger (Soldaten sowie Zivilisten) verschanzte sich weiterhin in Höhlen und führte noch anderthalb Jahre einen Guerillakrieg gegen die Besatzer. Erst am 21.04.1947, auf Aufruf von dem Generalleutnant der Kaiserlichen Japanischen Armee hin, ergaben sich die letzten 34 Mann und der Kampf war wirklich vorüber. Die sterblichen Überreste von Colonel Nakagawa wurden erst 1993 auf Peleliu gefunden.

Was bleibt? Die Amerikaner haben eine wertvolle Lektion gelernt und konnten sich an die Verteidigungsstrategien der Japaner, was in den Endzügen des Krieges 1945 auf Iwo Jima und Okinawa wichtig wurde, anpassen. Doch für jeden gefallen japanischen Soldaten wurden im Schnitt 1500 amerikanische Projektile abgefeuert – von 58461 Soldaten insgesamt starben 13031, wobei über 8000 weitere verletzt wurden. Der Kampf an der ‚bloody nose ridge‘ in den Umurbrogol Bergen gilt weitreichend als der schwierigste Kampf der Amerikaner während des gesamten Zweiten Weltkriegs.

Und heute? Peleliu beherbergt auf seinen 13 qkm vier Dörfer und hat ca 570 Einwohner. Die Insel ist übersät mit Überbleibsel der Schlacht, Panzer, LVTs, Kanonen, Munition, Höhlensysteme, Bunker, Gebäude und Denkmälern. Im ehemaligen Treibstofflager ist heute ein umfassendes Museum, das beide Seiten beleuchtet.

Überhaupt, die Palauaner sind da recht objektiv, sie hatten ja quasi nichts mit der Schlacht zu tun. So kommen beide Seiten zu Wort und neben extrem patriotischem Monumenten der Amis gibt es seit 1994 auch einen Gedenkstein mit einem Zitat des amerikanischen Oberbefehlshabers der Pazifikflotte (Chester W. Nimitz) im Pazifikkrieg, das den japanischen Patrioten, die ihre Insel ehrenhaft verteidigt haben, gedenkt.

Nimitz spielt bei der Schlacht um Peleliu keine unwichtige Rolle, so war er doch derjenige, der die Bedenken seines Untergeben William F. Halsey (Befehlshaber der Flotte im Südpazifikraum) in den Wind schlug und die Schlacht anordnete. Halsey befand die Besatzung Palaus als unnötiges Wagnis auf dem Weg zu den Philippinen und riet von einer Attacke ab.

Im April diesen Jahres wurde zudem auch ein Monument eines japanischen Mönchs aus Nagoya, das zu Ehren aller gefallenen Patrioten, die auf den verfeindeten Seiten für ihr Land und ihre Überzeugung gekämpft haben, aufgestellt. Dabei wird neben den Soldaten beider Seiten auch den Zivilisten Respekt gezollt, die im Kreuzfeuer des Krieges Leidtragende waren. Unter anderem ist auf Peleliu ein bekannter australischer Kriegsfotograf ums Leben gekommen (Damien Parer), aber auch koreanische Zwangsarbeiter (die u.a. Höhlen gegraben haben):

Shinto Schrein

Die noch vorhanden großen Gebäude sind das ehemalige Treibstofflager (heute Museum), das ehemalige Kraftwerk und das ehemalige Hauptquartier (durch einen amerikanischen Luftangriff zerstört):

Museum von außen

Verschiedene Funde Rückseite des Museums; gut sichtbar der Einschlag eines Artilleriegeschosses (von einem amerikanischen Kriegsschiff) rechts oben Eingang ins Kraftwerksgebäude Auch dieses Gebäude wurde durch ein Artilleriegeschoss getroffen – steht aber noch. Auch wenn es beeindruckend ist, zu sehen, wie sich die Natur in den letzten 70 Jahren wieder ausgebreitet hat Nic beim Kraftwerk

Geschosseinschlag und einnehmende Natur von innen Ausmaß der Verwüstung

Hauptquartier, oben waren die Räume der japanischen Oberbefehlshaber Freier Blick auf den Himmel „dank“ Luftangriffeinschlag. Es wirkt heute fast wie ein Naturatrium, aber die Schrecken des Krieges sind hier deutlich nachzufühlen Blick auf den zweiten Stock. Die Treppen sind noch intakt, auch wenn das gesamte Gebäude äußerst fragil wirkt. Die ganzen Einschusslöcher tragen dazu bei Nic vor dem Eingang einer mit Wellblech improvisierten amerikanischen Garage (diente aber nicht nur den Fahrzeugen als Unterschlupf) neben dem ehemaligen Hauptquartier In einem tatsächlichen japanischen Bunker neben dem HQ. Sehr massiv, heute von Grillen, Geißel-Spinnen (Charon grayi, sehr gruselig!!) und Fröschen bewohnt. Die Vorstellung, bei einem Luftangriff darin ausharren zu müssen, während draußen der Napalm vom Himmel regnet lässt mir kalte Schauer über den Rücken jagen Blick auf das Hauptquartier, besser: was davon übrig ist, von außen

Rund um das Airfield (von dem heute nur noch die SW/NE Landebahn besteht) gibt es noch Gefährte. Einen der 17 japanischen Panzer haben sie zur Anschauung stehen lassen.

Japanischer Panzer vom Typ 95 Auch diesen Fleck holt die Natur sich zurück Gar nicht mal so groß, bot Platz für 3 Japaner (3 Amis hätten laut unserem Guide nicht reingepasst…). Der Panzerungsgrad war aber deutlich geringer als derjenige der amerikanischen Sherman Panzern Kettenspuren in der Straße (sie führt zur ehemaligen Landebahn, die die SW/NO Landebahn kreuzt) Amerikanisches LVT, davor liegt ein Abwurftank eines amerikanischen Flugzeugs

Blick in das LVT Das LVT ist deutlich größer und wurde zum Transport von Truppen und Sherman-Panzern von den Kriegsschiffen an Land genutzt.

Symbolisches Grab (mittlerweile wurden alle amerikanischen Soldaten nach Arlington, den Militärfriedhof in Washington D.C., verlegt) mit Blumenschmuck, der aus der Vogelperspektive „USA“ beschreibt An einem der Landungsstrände (Orange2) – die Strände haben alle Farben als Codenamen bekommen, White, Orange, Amber, Scarlet. Heute ein friedlicher, stiller Ort im Paradies. Am 15.09.44 muss hier die Hölle auf Erden gewesen sein… Kanone in einer Höhle – im Endeffekt kam sie nie zum Einsatz (der Angriff aus der Richtung in die sie ausgerichtet ist, erfolgte nicht) Aber die Kanone ist sehr gut erhalten und die Platzierung mit Gerüst in der Höhle ist eindrucksvoll

Blick in eine der vielen Höhlen – einige größere davon wurden übrigens nach dem Krieg als Taifun-Schutzbunker genutzt. Das wiederum finde ich auch einen gruseligen Gedanken – zumal in einigen noch Munition, Handgranaten, etc zu finden sind Blick von der bloody nose ridge über Peleliu Damals war die komplette Vegetation durch Flammenwerfer und Napalm zerstört – heute der reinste Dschungel Gedenkstein für die letzten Guerillakrieger, die sich 1947 ergaben Wir waren auch noch kurz auf einem Friedhof – dieser Gedenkstein hat mich dabei sehr berührt: Gelobet dem Frieden!Wir hoffen auf Frieden auf Erden so dass wir nie die Tragödien eines Krieges wiederholen mögen.

Weise Worte, auch heute aktuell wie nie

Blick auf einen der elf Ausgänge der 1000-man Cave. In Kriegszeiten diente sie als Krankenhaus, Bunker und Hauptquartier (gegen Ende der Schlacht hin, die Höhle war quasi eine letzte Bastion der Japaner) Neben alten Soju Flaschen findet man in dieser Höhle u.a. Reisschüsseln der japanischen Marine (durch Anker am Schüsselboden erkenntlich) Übersicht über das Höhlensystem der 1000-man Cave

Mit uns waren drei Japanerinnen unterwegs, eine Japanisch-sprachige Führerin und für uns ein Englisch-sprachiger Führer von den Philippinen (der durchaus Philippinisch geprägte Ansichten zu den Kriegsparteien hatte…). Unser Guide bietet auch Zweitages- Wandertouren durch den Dschungel (auf den von Minen und sonstigen Kriegsüberbleibsel befreiten Wegen!) an – etwas, das wir bei unserem nächsten Besuch gerne machen würden. Peleliu hat viel mehr zu bieten, als man durch einmal Herumfahren erfassen kann. Es gibt wohl wenige Orte auf der Welt, wo die Überreste des Krieges so gut erhalten sind, dabei aber gleichzeitig so wenig „verpfuscht“ („in Stand gesetzt“) wurde. Lange werden sich die Häuser aber nicht mehr gegen die Natur verwehren können, im Hauptquartier wurde z.B. die Decke schon mit Baumstämmen abgesichert.

Peleliu ist also zurecht Teil des UNESCO Weltkulturerbes und hier wurde, soweit man das von außen beurteilen kann, alles richtig gemacht.

Abschließend betrachtet: mich nimmt so etwas immer ein bisschen mit. Zuviel Empathie ermöglicht es mir, nachzufühlen. Es war anders, diesmal 2.Weltkriegs-Reste zu sehen, die nichts mit Deutschland zu tun haben (im Gegensatz zu einem KZ Besuch, zum Beispiel). Trotzdem hat mich besonders das Museum, aber auch die Gedenkstätten schwer getroffen. So viel sinnloses Blutvergießen. Leid, Schmerz und Tod auf zwei Seiten, die gegeneinander kämpfen, auf einem Land, das keinem „gehört“. Und dazu hin wohl strategisch nicht mal so wichtig war. Jeder kämpft für seine Seite, sein Vaterland, seine Überzeugung – in der Überzeugung, im Recht zu sein, der ‚Gute‘ zu sein, gegen den Bösen zu sein. Und alle sind doch nur Bewohner dieser Erde.

Ich habe stark mit den beiden Japanerinnen mitgefühlt, die heftig schluchzend durch das Museum gegangen sind. Das Ausmaß dieser Schlacht ist aus heutiger Sicht nicht nachzuempfinden. Und doch gibt der Besuch auf Peleliu einen kleinen Einblick, ein kleines Fenster in diese vergangene Zeit.

Mögen wir alle dem Frieden geloben, dass die Tragödien vergangener Schlachten nie wiederholt werden!

Ein erhaltenes Banzai Banner (als Gürtel getragen) der japanischen Streitkräfte.

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